Cixin Liu, Jenseits der Zeit, 三部曲 《死神永生 (Sishen yongsheng), 2010
Heyne, München, 2019, brochiert, 992 Seiten, aus dem chinesischen von Karin Betz, ISBN: 978-3453317666
Jenseits der Zeit ist der dritte Band der Trisolaris-Trilogie. Cixin Liu beweist mit diesem umfangreichen Roman, das er zu Recht als der chinesische SF-Autor gefeiert wird.
Vor fünfzig Jahren ist die irdische Raumflotte fast komplett zerstört worden. Zwischen Menschen und Trisolarier ist durch die Abschreckung des Dunklen Waldes eine Patt-Situation entstanden. Das Universum wird dabei als eben jener dunkle Wald gesehen mit einer Vielzahl von Intelligenzen. Diese Intelligenzen könnten das Universum bevölkern, was andere natürlich nicht begeistert. Es gibt zwei Ausprägungen, wie damit umgegangen wird. Die fortschrittlichsten Zivilisationen vernichten (säubern) die Systeme mit intelligenten Wesen, die sich zu erkennen geben und Kommunikation suchen, um deren Ausbreitung zu verhindern. Die anderen Zivilisationen versuchen dies zu vermeiden, indem sie sich verstecken und totstellen. Die Protagonistin, Raumfahrtingenieurin Cheng Xin, wird zur Schwertträgerin ernannt, die eine einzige Aufgabe hat: Sie soll, wenn es notwendig sein sollte, die Trisolarier an das Universum als neue aufstrebende Zivilisation „verpetzen“ und so der Vernichtung durch die Säuberer preisgeben.
Doch die Trisolarier vernichten mit ihrer den Menschen überlegenden Technik die Gravitationsantennen, die die Grundlage der Pattsituation darstellen. Eine zweite Raumflotte der Trisolarier ist auf dem Weg zur Erde. Die Menschheit wird gezwungen, die weitesten Teile der Erde zu räumen und sich nach Australien zurückzuziehen. Die Außerirdischen wollen die Menschheit dezimieren.
Die beiden einzigen Raumschiffe, die der Vernichtung entgangen sind, senden eine Gravitationswelle aus und markieren damit das Heimatsystem der Trisolarier. Diese ziehen sich aus dem irdischen Sonnensystem zurück, aber deren eigenes wird zeitnah vernichtet.
Die Menschen befürchten, dass auch ihr System zerstört wird, da es aus kosmischer Sicht in der Nachbarschaft liegt. Es werden drei alternative Pläne zur Rettung der Menschheit für diesen Fall ersonnen:
Der Bunkerplan sieht einen Rückzug der Menschheit in gewaltige Raumstationen vor, die sich hinter den großen Planeten des Sonnensystems verbergen sollen.
Das Vorhaben Schwarze Domäne soll die Lichtgeschwindigkeit verringern, um das Sonnensystem durch eine Art schwarzes Loch zu tarnen.
Der dritte Plan sieht vor, eine interstellare Raumfahrt zu entwickeln, um die Menschheit aus dem Sonnensystem zu evakuieren. Dieser Plan wird verworfen, da er nur eine kleine Minderheit würde retten können.
Doch der Angriff der Säuberer sieht so ganz anders aus, als sich das die Menschen vorgestellt haben. Denn es wird nicht die Sonne zerstört, sondern die Physik ändert sich…
Der Autor spielt mit Zeit und Raum in diesem Roman, der sich auf die beiden Vorgänger bezieht, aber dennoch sehr eigenständig ist. Gewaltige Entfernungen, Überwindung zeitlicher Grenzen durch Kälteschlaf und Veränderungen physikalischer Konstanten sind nur einige Ideen und Konzepte im Text. Die Protagonistin fungiert immer mehr als Beobachterin, denn die Menschheit entfernt sich immer kulturell und sozial immer weiter davon, was wir heute kennen. Cixin Liu ist dabei ungemein konsequent und schildert verschiedenste Reaktionen der menschlichen Zivilisation auf die äußeren Einflüsse. Da der technologische zwar vorhanden ist, aber andere Zivilisationen der Menschheit so weit voraus sind, wird der Mensch zum Getriebenen.
Der Autor nimmt den Leser mit auf eine Reise, die langsam beginnt, sich aber immer schneller vom bekannten Hier und Jetzt entfernt und schließlich am Ende von Zeit und Raum aufhört. Oder auch nicht.
Cixin Liu spielt mit Naturgesetzen, der Mathematik und der Physik. Dies aber nicht, um zu zeigen, was er alles kann, sondern um den Roman zu dem zu machen, was er geworden ist.
Jenseits der Zeit ist ein krönender Abschluss einer gewaltigen Trilogie, wie sie es noch nicht gab. Die Romane haben eine angenehme Exotik, die aber nicht ausschließlich durch den kulturellen Background des Autors, sondern durch dessen Ideen entsteht.
Innerhalb des Großen werden immer wieder kleine Geschichten erzählt, die die Bücher so lesenswert machen. Dem Autor gelingt es kongenial, den Spannungsbogen immer wieder zu befeuern, auch in den ruhigen Passagen, die der Roman hat.
Beeindruckend ist aber die Schilderung der Veränderung der Menschen und damit der Menschheit in ihrem Denken und kulturellen Interaktion. Die Protagonistin entwickelt sich von einer durch äußere Einflüsse Getriebenen zu einer in sich selbst ruhenden Person und auch der Roman kommt zum Ende hin zu eben dieser Ruhe.
Cixin Lius Roman ist damit ein lesenswerter Meilenstein der Science-Fiction. Und wer noch nicht genug hat, sollte sich seinen Novellen und Kurzgeschichten widmen, die ebenfalls in deutscher Übersetzung vorliegen.