Das wahre Wesen der Dinge. Ted Chiang. Golkonda Verlag 2014. Nach dem vielgelobten Band „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ legt nun der Golkonda-Verlag die zweite Collection mir Geschichten von Ted Chiang vor. Der Autor ist ein Meister der kürzeren Texte, doch das Buch enthält auch eine Novelle. In „Verstehen“ bekommt der Protagonist ein neues Medikament gespritzt, dass seine Hirnstruktur erst wenig, dann immer mehr verändert. In „Geteilt durch Null“ wird die Frage gestellt, ob Mathematik wirklich so logisch ist sie sich immer gibt, oder ob es doch ganz anderes ist. In „Zweiundsiebzig Buchstaben“ werden tote Objekte durch Buchstabenkombinationen zum Leben erweckt. „Die Evolution menschlicher Wissenschaft“ ist eine ultrakurze Story. Die Wissenschaft wird von Metamenschen dominiert und der Mensch selbst kann nie wieder eine bahnbrechende Entdeckung machen. „Die Wahrheit vor Augen“ handelt von der Calliagnosie. Man kann Menschen zwar erkennen und unterscheiden, aber es findet keine automatische Einordnung in schön und hässlich mehr statt. Dies kann künstlich hervorgerufen werden und so soll sich die Gesellschaft zum Besseren wenden. „Was von uns erwartet wird“ behandelt die Frage, ob es einen freien Willen gibt und was geschieht, wenn alle der Ansicht sind, dass ihre Handlungen nichts verändern. „Der Lebenszyklus von Software-Objekten“ ist die schon angesprochene Novelle im Buch. Die Geschichte handelt aber vordergründig nicht von Software-Entwicklung, sondern von künstlichen Bewusstseinen, die in nicht nur in virtuellen Welten leben, sondern auch in die reale Welt geholt werden können. Welchen Status haben solche Wesen und wie sind sie zu behandeln? Und wie reagieren die „echten“ Menschen auf diese? Die letzte Story „Daceys vollautomatisches Kindermädchen“ handelt von Robotern, die nicht so funktionieren, wie sie sollen. Ted Chiang hat die Gabe, in nur wenigen Sätzen eine uns fremde Welt so überzeugend darzustellen, dass wir sie als Realität akzeptieren können. In diesen Welten läßt er wunderbar komplexe Geschichten spielen. Da der Leser die Fremdhaftigkeit sofort akzeptiert hat, bieten diese Gedankenexperimente dann richtigen Lese-Spaß. Der Leser akzeptiert, dass es eine Welt gibt, in der tönerne Geschöpfe durch einen Buchstabencode zum Leben erweckt werden und eine einfache Intelligenz erlangen. Er akzeptiert eine Gesellschaft, deren Mitglieder durch einen simplen ambulanten Eingriff den Gegenüber nicht in die Kategorien „schön“ oder „hässlich“ einstufen. Der Leser akzeptiert, dass es im 19. Jahrhundert mechanische aufziehbare Kindermädchen gab, die sich um die Nachkommenschaft kümmerten. Dem Autor gelingt es, in wenigen Sätzen, auf wenigen Seiten, Geschichten zu schreiben, die schnell auf den Punkt kommen. Manchmal sind die Stories so schnell zu Ende, dass sie noch lange Zeit im Hirn des Lesers nachhallen. Jede einzelne Geschichte macht nachdenklich und beeinflusst dadurch den Leser. Die Stories sind bei alle Absurdität immer logisch einwandfrei aufgebaut und dazu noch gut erzählt. Man möchte Ted Chiang den Rat geben, bei der Kurzform zu bleiben und sich bitte nie an einen längeren Roman zu versuchen… Großes Lob an die Macher des Golkonda-Verlages, dass sie auch den zweiten Band in einem schön gemachten Buch verlegt haben. Absolut empfehlenswert für alle die Science Fiction lieben oder die in das Genre hineinschnuppern möchten und gleicht etwas richtig Gutes lesen wollen.