Zeitfuge von Michael J. Sullivan. Übersetzt von Oliver Plaschka. Heyne 2015. Taschenbuch. 448 Seiten. ISBN: 978-3453316782
Der Protagonist Ellis Roger bekommt eine Krebsdiagnose. Dies verheimlicht er jedoch seiner Frau Peggy, da ihre Beziehung einen Status der Nicht-Kommunikation erreicht hat. Aus der Schmuckschatulle seiner Frau nimmt er sich ein Paar Diamantohrringe und trifft sich mit seinem alten freund Warren in deren Stammlokal. Sie reden wie immer über Gott und die Welt, wobei die beiden Freunde sehr unterschiedlich sind. Ellis Roger ist ein MIT-Absolvent und relativ erfolgreich, während Warren es nicht so weit gebracht hat. Ellis gibt Warren ein paar Papiere „für den Fall, dass es funktioniert“, geht nach Hause, steigt in seine selbstgebaute Zeitmaschine und will sich zweihundert Jahre in die Zukunft versetzen, damit dort seine Krankheit geheilt werden kann. Die Zeitreise funktioniert auch, doch kommt Ellis nicht zwei Jahrhunderte später an und die Welt ist auch nicht so, wie er es sich vorgestellt hat. Gleich nach seiner Ankunft wird er Zeuge eines Mordes. Der kurze Zeit später eintreffende „Ermittler“ hält Ellis, der sofort als nicht in die Gegenwart passend identifiziert wird, zunächst für den Mörder, da es in dieser Gesellschaft der Zukunft seit langer Zeit kein Verbrechen mehr gegeben hat. Ellis hat seine Unschuld beweisen und macht sich mit dem Menschen der Zukunft auf die Suche nach dem Mörder. Er lernt dabei eine Welt kennen, die sich gesellschaftlich sehr weit von der seinen (und damit auch des Lesers) entwickelt hat. Hunger, Elend, Krankheiten und Kriege gibt es nicht mehr. Und auch keine unterschiedlichen Geschlechter. Doch die Struktur dieser Welt ist nicht so stabil wie sie sein sollte. Spätestens als ein alter Bekannter in diesem System erscheint, droht das Ende der Zivilisation.
In Zeitfuge ist die Zeitreise an sich ebenso wie bei H.G. Wells Zeitmaschine nicht das zentrale Thema. Das Teil funktioniert einfach und gut ist. Darauf weist der Autor bereits in seinem Vorwort hin. Dies wirkt ein wenig befremdlich und dozentenhaft. Als ob der geneigte SF-Leser das nicht von alleine bemerkt hätte. Der Roman beginnt sehr vielversprechend und mit einer guten Dynamik in der Handlung. Die Welt der Zukunft ist spannend formuliert. Die Technik ist entsprechend fortgeschritten und wird als selbstverständlich beschrieben. Die Menschen nutzen sie einfach. Die Zivilisation ist sehr fortgeschritten und das ist ebenfalls sehr einfallsreich erzählt. Der Autor berichtet über eine mögliche Zukunft, die durch das Erscheinen des Zeitreisenden beeinflusst, ja gefährdet wird. Das Ganze ist fundiert und funktioniert sehr gut. Die Beziehung des religiösen Ellis zu seinem neuen Freund in der Zukunft wird sehr schön beschrieben. Die verbotene Anziehungskraft und der Wunsch nach Liebe und Geborgenheit gibt dem Roman einige wirklich lebenswerte und wohl so noch nicht beschriebene Momente. An einigen Stellen vergibt der Autor dennoch Chancen, denkt nicht konsequent zu Ende. Wobei das Ende offen gestaltet ist und im Nachwort wird die Option einer Fortsetzung offen ausgesprochen.
Der Roman ist schnell und unterhaltsam, macht an den richtigen Stellen nachdenklich und bietet viel Stoff zur Diskussion. An einigen Stellen ist das Thema Religion anfangs zwar etwas zu präsent, doch der Autor besinnt sich dann auf eine nicht theologisch ausgerichtete Betrachtung der Gesellschaft. Der Roman hat einige sehr starke Momente. Hier ist das Gespräch von Ellis mit Sol zu nennen. Sol ist die älteste einzige Frau auf der Erde und hat ganz eigene Vorstellungen von Gott.
Zeitfuge lebt von der Konfrontation der nach außen heilen Welt der Zukunft und der verwerflichen Moral der uns bekannten Gegenwart. Das Ganze ist spannend verpackt und erzählt. Was will der geneigte Leser mehr?