Jan Brandt – Gegen die Welt, 928 Seiten, Hardcover, Dumont, ISBN 978-3-8321-9628-8

Daniel Kuper, Sohn eines Drogisten, wohnt in dem scheinbar beschaulichen (fiktiven) ostfriesischen Dorf Jericho. Doch der Name ist Programm: wie in der biblischen Geschichte wird die Idylle des Dorfes zwar nicht durch Posaunen, doch durch Heavy Metal, Kornkreise und Hakenkreuze massiv gestört.
Der Roman ist ein Heimatroman; das Lokalkolorit wird so dargestellt, dass ein Ostfriese sich sofort zurechtfindet. Sonntags gibt es Snirtjebraten mit Rotkohl, der Bekleidungshändler ist ein „Plünnenrieter“ (Lumpenreißer), der Lebensmittelhändler ist ein Kluntjeknieper (Kandiskneifer) und der Postbote heißt „Postlooper“ (Postläufer). Für Nicht-Ostfriesen ist es halt reine Exotik.



Im Dorf scheint alles seinen bedächtigen Gang zu gehen. Wie schon hunderte Jahre zuvor gibt es gepflegte Traditionen. Der Männergesangverein und der Skatclub sind die kulturellen Highlights. Sonntags trifft man sich vormittags zum Frühschoppen und nachmittags zum Tee. Jeder spielt in diesem Dorftheater die Rolle, in die er hineingeboren worden ist.
Doch im Dorf ist nichts so wie es scheint. Hinter der ländlichen Fassade brodelt es gewaltig. Der Drogist legt alles flach, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Der Bauunternehmer macht seine eigene Politik. Geschäfte müssen wegen der Konkurrenz der Ketten schließen. Die Beschaulichkeit beginnt zu bröckeln und hinter den Masken zeigen sich die wahren Gesichter. Die meisten Menschen sind nicht auf die neue Zeit vorbereitet. Wie sollten sie auch, es hat ihnen niemand beigebracht. Und so versuchen alle, so lange wir irgend möglich, das Alte zu bewahren.
In diesen Umbruch wird Daniel hineingeboren. Schon bald bemerkt er, dass die Dorfbewohner zwar gegen den Wechsel ankämpfen, diesen aber nicht aufhalten können. Er selbst hat es mit seiner überbordenden Phantasie schwer, seinen Platz in der Gemeinschaft zu finden. Daniel ist Science Fiction-Fan. Die Abenteuer von PERRY RHODAN animieren ihn zu Tagträumen, in denen er der Superheld mit der Strahlenpistole ist. Als kosmischer Agent muss er an schwierigen Missionen teilnehmen.
Mit einigen Gleichaltrigen entdeckt er den Heavy Metal und tritt sogar mit einer Band auf, die sich nach dem ersten Gig in der Schule sogleich wieder auflöst, da das Publikum in Jericho keinerlei Verständnis für diese Art von Musik zeigen möchte.
In Jericho kommt es zu einer Reihe von unerklärlichen Ereignissen. Daniel Kuper kommt blutüberströmt nach der Schule nach Hause und kann sich an nichts erinnern. Er ist in einem Kornkreis wieder zu Bewusstsein gekommen. Dieser Vorfall wird zu einem großen Presserummel. Ein Freund wird vom Zug erfasst und überall im Dorf tauchen Hakenkreuze an den Wänden auf, die trotz Entfernung mit Nitroverdünnung nachts wieder zu leuchten beginnen. Dadurch wird Jericho zum Wallfahrtsort für Neonazis. In all die Geschehnisse schient Daniel verwickelt zu sein. Die Dorfbewohner sehen in ihm den Schuldigen und beginnen auch seine Familie zu ächten. Seine Mutter kommt damit noch gut zurecht, doch sein Vater scheint innerlich zu zerbrechen.
Auch Daniel muss schließlich seinen Kampf gegen das Dorf und deren Bewohner verlieren.
Das Buch ist nicht nur wegen seines Umfangs von über 900 Seiten ein gewaltiges Stück Literatur. Der Autor weiß zu erzählen, wo erzählt werden muss und setzt brillante Dialoge ein, wo die Figuren miteinander sprechen müssen. Auch bei längeren Zwiegesprächen kommt er dennoch immer auf den Punkt. Vor dem Auge des Lesers erwachen die Personen zum Leben. Die Charakterisierung ist messerscharf.
Auch formal weißt das Buch eine Füller von innovativen Ideen auf. Schon der Buchdeckelt ist eine Collage der Popkultur: Hunderte von Begriffen aus dem Roman sind auf dem rot-braunen Einband abgedruckt.
Der Roman beginnt mit einem Faksimile (Maschine mit handschriftlichen Anmerkungen) eines Schreibens an Gerhard Schröder, in dem vor der Weltübernahme der außerirdischen „Plutonier“ am 09.09. 1999 gewarnt wird. Wobei die Plutonier nicht vom Planeten Pluto kommen, sondern zufällig diese Bezeichnung tragen.
Ab Seite 214 teilt sich die Handlung für gut 150 Seiten. Dies auch optisch. Zwei Geschichten werden parallel erzählt. Die Seite wird durch einen Doppelstrich in eine obere und untere Hälfte getrennt.
Beeindruckend sind auch die Passagen, wo Daniel aus einer Bewusstlosigkeit erwacht: Hier ist der Druck zunächst schwach, fast nicht zu lesen und wird immer schwärzer, bis ein normales Druckbild entsteht.
Der Roman ist ein Heimatroman und doch keiner. Er beschreibt den Weg eines Dorfes in die Neuzeit. Dieser Umbruch fand überall in Deutschland statt, nicht nur in Ostfriesland. Manchen Menschen ist es gelungen, ihn zu mitzugehen, manche scheitern und der Zug ist für diese abgefahren (Züge spielen übrigens auch eine große Rolle im Roman).
Als Erstlingswerk überrascht „Gegen die Welt“. Der Roman nimmt den Leser auf der ersten Seite gefangenen und entlässt ihn erst wieder auf der letzten Seite in die Freiheit. „Gegen die Welt“ hat trotz der Länge keine Längen und das will in der heutigen Literatur schon etwas heißen. Neun Jahre soll der Autor an dem Werk geschrieben haben. Es hat sich gelohnt, denn nun dürfen wir den Roman lesen, was jeder – wirklich jeder – sich vornehmen sollte.
Jan Brandt, geboren 1974 in Leer (Ostfriesland), studierte Geschichte und Literaturwissenschaft in Köln, London und Berlin und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Seine Erzählungen sind in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im WOCHENENDE der Süddeutschen Zeitung erschienen.

Das Buch kann hier bestellt werden:

http://www.dumont-buchverlag.de/buch/Jan_Brandt_Gegen_die_Welt/9016

Das buch wurde über  http://www.bloggdeinbuch.de/ zur Verfügung gestellt.

Von Ralf

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