Der CircleDer Circle von Dave Eggers. Kiepenheuer & Witsch. 2014. 560 Seiten. ISBN 978-3462046755

Mae Holland arbeitet nach ihrem Studium in einer Verwaltung. Doch dieser Job füllt sie nicht wirklich aus. Über eine Freundin bekommt sie das Angebot, bei Circle zu arbeiten, einem Konzern mit innovativen Produkten im Umwelt von Internet, Social Media und weiteren Bereichen. Dort beginnt sie ihre Karriere in der Customer Experience (CE). Dies ist ein Call-Center für Beschwerden und Kundenanfragen. Die Mitarbeiter dort beantworten Fragen und versuchen die Probleme der Kunden zu lösen. Wichtig ist dabei die Bewertung auf einer bis 100 angelegten Skala, mit der die Kunden die Interaktion mit dem CE bewerten. Die Callcenter-Agenten sollen möglichst immer bei 95 oder besser stehen. Schlechtere Bewertungen der Kunden können durch ein Rückfragesystem verbessert werden. Sie kniet sich in ihre Arbeit rein und wird bald eine der Besten. Die Agenten stehen dabei über einen zweiten Monitor in Kontakt mit ihren Vorgesetzten, die auch ein Auge auf schlechte Bewertungen haben. Zum zweiten Monitor gesellt sich bald ein dritter, der die soziale Interaktion im „Inner Circle“, dem Firmeneigenen Intranet anzeigt. Von den Angestellten des Circles wird erwartet, sich hier einzubringen und mit anderen zu kommunizieren. Mae steigt auf der Karriereleiter auf und übernimmt die Supervision von neuen Kollegen (und bekommt dafür einen eigenen Bildschirm…).

Das Ranking der sozialen Interaktion ist wichtig im Unternehmen und unterliegt der Überwachung von Vorgesetzten und Kollegen. Doch neben den sozialen Aspekten wird auch die physische Gesundheit ständig kontrolliert. Eine vierzehntägliche Untersuchung beim Arzt ist Pflicht. Der Circle übernimmt sogar die Krankenversicherung für Maes an MS erkrankten Vater.

Mae hat zunächst einige Probleme mit der Transparenz und der Verpflichtung der Partizipation. Auf dem großen Campus des Circle gibt es ständig Veranstaltungen, Konzerte und Partys, die von allen besucht werden sollen. Es werden auch immer mehr Wohnungen gebaut, damit die Circler das Gelände gar nicht mehr verlassen müssen. Nachdem Mae einige Male wegen des Verstoßes an die Konventionen angeeckt ist, beginnt sie sich anzupassen und das Leben im Circle zu genießen.

Der Circle wird von drei Männern geleitet, die sehr unterschiedliche Interessen haben. Doch immer gilt das Prinzip der Offenheit und Ehrlichkeit. Der Circle strebt eine Vereinheitlichung und Zusammenfassung aller Account aller Netzwerke an. Mit einem verifizierten Zugang soll gesurft, bezahlt, kommuniziert und schließ auch gewählt werden dürfen. Mae stellt sich als transparente Persönlichkeit zur Verfügung und lässt alle per Kamera und Mikrofon an ihrem Leben teilnehmen. Immer mehr Menschen folgen ihr digital. Doch ihr privates Umfeld aus Familie und ihrem Jugendfreund heißen dies nicht gut und sie entfremdet sich immer mehr mit ihrem alten sozialen Umfeld…

Das Unternehmen scheint eine Mischung aus apple und facebook zu sein. Viele der im Roman beschriebenen Technologien gibt es heute bereits. Armbänder, die die Gesundheit überwachen, Kameras, die über das Internet erreichbar sind, soziale Netzwerke, Bezahlsysteme. Doch der Roman vereinigt alles zu einer völligen Transparenz der Persönlichkeit und das Miterleben fremder Leben. Die von Eggers beschriebene Welt scheint aber nicht mehr weit entfernt zu sein, denn immer mehr Menschen haben eben keine Probleme mit diesen Medien und bewegen sich selbstverständlich im digitalen Raum. Dies geht solange gut, solange nicht staatliche und unternehmensökonomische Interessen dahinterstehen. Die Lenker vom Circle mögen die besten Absichten haben, doch sie erkennen nicht, was sie damit angestoßen haben oder wollen dies auch nicht sehen. Sie wollen mittels der Technik den Menschen zu seinem sozialeren Wesen machen und damit die Gesellschaft auf ein neues Niveau heben. Doch kann der Mensch der heutigen Zeit diesen Weg wirklich beschreiten? Ist er schon so weit?

Dave Eggers Roman ist ein wahrer Pageturner, wenn man sich auf die Geschichte einlässt. Ob die heutigen Entwicklungen wirklich in der totalen Überwachung enden werden, vermag er nicht vorherzusagen und auch nicht, ob die Menschen diesen Weg gehen wollen. Transparenz soll Verbrechen verhindern und Korruption bei Staatsdienern unmöglich machen. Da jeder jedem immer über die Schulter schauen kann, soll die Angst weniger werden und das Gefühl einer allumfassenden Sicherheit erzeugen.

Der Roman möchte sicher keine exakte Vorhersage der nahen Zukunft sein. Das Buch wird sicher polarisieren, aber zu mindestens nachdenklich machen. Ob Dave Eggers Werk ein Klassiker wie „1984“ oder „Schöne neue Welt“ werden kann, bleibt abzuwarten. Auf alle Fälle ist es gute Unterhaltung mit einem gehörigen Maß an Stoff zum Überdenken.

Von Ralf

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.