„Herr aller Dinge“ heißt der neue Roman von Eschbach und beginnt zwar in der Kindheit der zwei Protagonisten, ist aber bei weitem kein Jugendroman.
„Ich weiß, wie man es machen muss, damit alle Menschen reich sind.“ Mit dieser Aussage konfrontiert der Junge Hiroshi Kato seine Freundin Charlotte Malroux zu Beginn des Romans. Dieses Vorhaben zieht sich durch das gesamte Buch.
Hiroshi ist der Sohn einer alleinerziehenden Japanerin, die im Haushalt des französischen Botschafters angestellt ist. Charlotte ist die Tochter des Diplomaten und kennt deshalb schon einiges von der Welt, während ihr Freund noch nie weit gereist ist.
Gegensätzlicher könnte das soziale Umfeld der Kinder nicht sein. Hiroshi bastelt am liebsten an technischen Dingen herum, während die weltoffene Charlotte ihren Horizont immer erweitern möchte. Zwischen den beiden Kindern besteht dennoch eine Art Seelenverwandtschaft. Sie verstehen sich auch ohne Worte. Beide haben prägnante Fähigkeiten: Hiroshi sein angeborenes technisches Verständnis während Charlotte die Gabe hat, durch Berührung die Vergangenheit von Gegenständen vor ihrem geistigen Auge sehen kann. Besonders einschneidend ist für sie die Berührung eines uralten Messers in einer Klosteranlage. Dieses Geheimnis vertraut sie nur ihrem Freund als einzigen Menschen an.
Die beiden verlieren sich dann aus den Augen. Hiroshi studiert schließlich in Boston am MIT. Seine Idee, alle Menschen reich zu machen, hat er nicht vergessen und so widmet er sich der Robotik und beschäftigt sich mit Nanomaschinen. Mit einigen Erfindungen hat er schon während des Studiums etwas Wohlstand erreicht. Charlotte studiert quasi um die Ecke in Harvard Anthropologie und beschäftigt sich immer mehr mit Präanthropologie, was auch auf ihre Begabung zurückzuführen ist.
Auf einer Studentenparty laufen sich die beiden wieder über den Weg. Charlotte ist inzwischen mit einem reichen Unternehmersohn liiert. Dennoch kommt es zu einer Liebesnacht, die aber beide nicht glücklich macht. Charlottes Beziehung geht in die Brüche und ihr Studium macht für sie keinen rechten Sinn mehr.
Hiroshi kann für einen Großkonzern an seinem Nanoroboter-Projekt arbeiten und hat erste Erfolge. Begeistert zeigt er Charlotte die Ergebnisse.
Doch die Wege trennen sich wieder. Charlotte ist immer überzeugter davon, dass es vor der jetzigen Menschheit bereits andere Zivilisationen gegeben haben muss. Und so nimmt sie an einer Expedition auf eine eisige Insel teil, um diese Theorie zu bestätigen. Diese arktische Insel birgt aber ein tödliches Geheimnis. Unter einem Gletscher ist ein Mechanismus verborgen, der sie an Hiroshis Maschinen erinnert. Eine Rakete startet ins All und die scheinbar außerirdischen Geräte trachten den Expeditionsteilnehmern nach dem Leben, doch Charlotte und drei weitere können der Insel entkommen und werden von einem Großaufgebot von sowjetischen und amerikanischen Schiffen aus dem eisigen Meer gefischt, denn der Raketenstart blieb nicht unbeobachtet. Charlotte kann die führenden Militärs überzeugen, dass Hiroshi als Experte hinzugerufen wird, denn die selbstreproduzierenden Nanoroboter breiten sich immer weiter aus.
Hiroshi kann diesen Prozess stoppen. Dies bleibt aber nicht ohne weitreichende Folgen für ihn. Doch er scheint einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Realisierung seiner Vision gehen zu können. Er zieht sich in ein Haus fernab der Zivilisation zurück und forscht weiter an seinen Nanorobotern. Eine Anzahl der vermeintlich außerirdischen Objekte von der Insel helfen ihm dabei. Er sieht nun wirklich die Chance, seinen Traum von Reichtum und Zufriedenheit für alle Menschen in greifbarer Nähe, doch alles kommt anders…
Andreas Eschbach hat mit diesem Roman einen echten Science Fiction-Roman vorgelegt, der vor Ideen nur so strotzt, der vielleicht schon zu viele Ideen in sich vereint. Interessant ist die Theorie der verschwundenen vormenschlichen Kulturen. Besonders eindrucksvoll ist hier, als Charlotte Hiroshi zeigt, wie sich Zeiträume darstellen.
Ein anderes großes Thema ist die Nanotechnologie. Hiroshi ist hier der Meister, der „Herr aller Dinge“. Interessant die Vorstellung, was alles möglich wäre.
Der Roman ist aber auch eine spannende Geschichte. Fesselnd sind die Akteure dargestellt, was sie bewegt, was sie antreibt. Einige (Neben-)Figuren sind allerdings ein wenig schematisch aufgebaut. Da gibt es den reichen Sonnyboy, der sich auf alles Weibliche stürzt. Es gibt den weisen Weltkonzerninhaber, der nicht nur an Profit denkt, sondern jungen Menschen eine Chance geben möchte.
Durch das gesamte Buch zieht sich aber auch die Beziehung von Hiroshi und Charlotte. Aus der Sandkastenfreundschaft wird nie wirklich eine Jugendliebe oder gar ein erwachsenes Zusammensein. Sie können nicht zueinander finden, da immer irgendetwas oder irgendjemand dazwischen steht. Erst zu spät erkennen die beiden, was sie füreinander empfinden.
Andreas Eschbach baut auch wieder (wie schon in seinem Roman „Eine Billion Dollar“) eine kritische Betrachtung der heutigen Ökonomie ein. Es stellt schon der junge Hiroshi fest, dass die reichen Leute die armen Leute benötigen, damit diese die Arbeit erledigen. „Es gehe, was Reichtum anbelange, in Wirklichkeit gar nicht um Geld, wie alle immer dachten. Es ging darum, wer die Arbeit tat!“
„Herr aller Dinge“ kann auf verschiedenste Weise gelesen werden. Es ist ein SF-Roman, es ist ein Entwicklungsroman um die beiden Protagonisten Hiroshi und Charlotte und es ist eine spannende Action-Geschichte, fast schon ein Thriller. Der SF-Roman mit seinen Ideen um Nanotechnologie und den Denkansätzen der verschwundenen alten Zivilisationen und die Beziehungsgeschichte des so ungleichen Paares sind die Pluspunkte des Buches. Die Action-Lastigkeit auch gerade zum Ende hin fällt dagegen etwas ab. Die vielen verarbeiteten Ideen machen das Buch zu einer fesselnden Lektüre und damit zu einem Highlight der Phantastik im Jahr 2011. Absolut lesenswert!