Spiegel von Cixin Liu. 192 Seiten. Heyne 2017. ISBN: 978-3453319127

Diese knapp 100 Seiten lange Novelle führt uns in ein China der (nahen?) Zukunft. Der Professor Song Chen bewirbt sich auf Bestreben der Regierung, die mehr Akademiker in der Verwaltung zu etablieren versucht, auf eben eine solche Stelle. Schnell macht er in der Antikorruptionsbehörde Karriere und findet Beweise, dass in der Provinz Henan so ziemlich alle führenden Kader in einem Netzwerk der Korruption verstrickt sind. Dazu gehört auch sein Kommandant. Durch Intrigen, die das Ziel haben, seine Erkenntnisse zu vertuschen, kommt er ins Gefängnis, bevor er seine Dokumente an das Zentralkomitee versenden kann. Er bekommt dort Besuch von dem ihm unbekannten Bai Bing, der alles über ihn und seine Entdeckungen weiß. Mehr noch, er scheint überhaupt alles zu wissen. Basis dieses Wissens ist ein Superstringcomputer, der so klein ist, dass er in einem einfachen Aktenkoffer Platz hat. Bai Bing hat diesen Computer ein Simulationsprogramm geschrieben, dass beginnend vom Urknall alternative Universen berechnen kann. Das Universum mit bestimmten Parametern die Nummer 1207. Es ist das uns bekannte Universum, in dem wir leben. Die Simulation funktioniert dabei in Echtzeit! Damit kann er auf dem Bildschirm auf alles, was zurzeit geschieht hineinzoomen. Mit einem Such-Algorithmus kann die Vergangenheit dieser Simulation, die ja unser echtes Universum spiegelt, nach Personen und anderen Kriterien durchforscht werden. Damit ist der Computer mit der Software ein mächtiges Instrument. Die beiden werden – natürlich – abgehört und zwar von denen, die Song Chen ins Gefängnis gebracht haben. Auch hier wird das Potential des Programms sofort erkannt. Der Spiegel, so nennt Bai das Programm und die Sicht auf das Heute, birgt aber nicht nur Chancen, sondern auch Gefahren. Gefakte Geschichte(n) würde(n) sofort als gefälscht erkannt werden. Er zeigt einige Beispiele: Troja war ne mehr als ein Dorf und Marco Polo ein Betrüger, der am Hof von Kublai Khan. Alles und jeder ist damit transparent. Machenschaften wie Korruption oder geheimgehaltene Affären sind nun nicht mehr möglich. Die Zeit des Spiegels würde die gesamte Gesellschaft von Grund auf verändern. Der Kommandant erkennt dies und unternimmt entsprechende Maßnahmen. Doch die Entwicklung ist nicht aufzuhalten.

Der geneigte Leser wird erkennen, dass der Autor Cixin Liu die Superstringtheorie als Grundlage seiner Erzählung gewählt hat. Das ist die Theorie, die versucht, die Relativitätstheorie Einsteins und gleichzeitig die Quantenphysik zu erklären. Im Nachwort des Buches erklärt Sebastian Pirling diese Zusammenhänge. Ich möchte dabei auf einen Vortrag von Prof. Dr. Harald Lesch verweisen, der dies sehr eindringlich und auf seine ihm eigene Art in der Folge 80 von der Sendereihe „Alpha Centauri“ mit dem Titel „Was war vor den BigBang?“ zu erklären weiß.

Cixin Liu beschreibt ausgehend vom heutigen China eine möglich Zukunft. Viel scheint sich nicht verändert zu haben, die Strukturen sind die gleichen wie heute. Von den hehren Idealen einer neuen besseren Gesellschaft, für die alle gekämpft haben, ist nicht viel geblieben, denn jeder ist sich selbst der nächste. Mit dem Computerprogramm wird genau diesen Menschen ein Spiegel dieser Veränderungen vorgehalten. Doch jeder einzelne reagiert auf verschiedene Weise: Einige erstarren in Untätigkeit, da ja nun alles durchschaubar ist, andere finden nur einen Ausweg im Selbstmord. Doch der Kommandant erkennt die Chancen und trifft eine Entscheidung.

Durch die Anmerkungen und das Nachwort im Band bekommt auch der Leser, der sich mit der chinesischen Kultur noch gar nicht befasst hat, ein kleine Anleitung, wie die Hintergründe der Novelle zu verstehen sind. Es ist chinesische SF, die auch in diesem Kontext gelesen werden muss. Ohne den Background bleibt dennoch eine spannende und fesselnde Geschichte. Auf alle Fälle lesenswert.

Dem Heyne-Verlag ist es zu danken, dass nah den zwei Bänden der Trisolaris-Trilogie nun mit „Spiegel“ und „Weltenzerstörer“ zwei Novellen des Autors vorliegen. In diesem Buch sind zwei längere Leseproben der Trilogie abgedruckt. Das abschließende dritte Teil erscheint im April 2019 auf deutsch. Man darf gespannt sein.

Von Ralf

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.