Das Erwachen von Andreas Brandhorst. Piper Verlag 2017. Paperback. 736 Seiten. ISBN 978-3492060806

Der Hacker Axel Krohn durchstöbert die Server einer Softwarefirma und bringt dabei unfreiwillig ein Programm in das Internet. Die Folgen zeigen sich nicht sofort, doch die Auswirkungen sollen groß sein und die Welt, wie wir sie kennen, verändern. Der Bestand der Menschheit ist gefährdet.

Seine Signatur wird in den Code integriert und damit wird er nun von verschiedensten Organisationen verfolgt.

Der Trojaner, nennen wir das Programm einmal so, bewirkt, dass die vorhandene künstliche Intelligenz sich in den Netzen bündelt. Speicher, Prozessoren und KI-Software finden zusammen und eine Maschinenintelligenz erschafft sich. Diese übernimmt die Kontrolle über alle am Internet angeschlossenen Infrastrukturen, wie Rechnersysteme und Sensoren und dadurch auch die Energieversorgung und Navigation. Die Stromversorgung wird massiv gestört, die Ressourcen des Internet werden für die Menschen immer mehr eingeschränkt. Kredit- und EC-Karten funktionieren nicht mehr und es kann nur noch mit Bargeld gezahlt werden. Schnell bröckelt der dünne Putz der Zivilisation und es kommt zu ersten Plünderungen. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet. In Deutschland kommt noch ein früher Winteranfang dazu, der den Menschen das Leben schwer macht.

Polizei und Behörden stoßen schnell an ihre Grenzen. In dieser sich auflösenden Zivilisation versuchen einige der Menschheit zu helfen und andere, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Geheimdienste spielen wieder einmal ein eigenes Spiel. Großmächte und atomar aufgerüstete Staaten sehen Chancen in dieser Situation. Axel Krohn gerät zwischen diese Fronten, denn er wird von der erwachenden Maschinenintelligenz gesucht. Will sie ihren Schöpfer kennenlernen. Ein Zentrum der Konsolidierung der Maschinenintelligenz für dem Weg zum Take-Off, der Bewusstwerdung, scheint Rom zu sein. Dort arbeiten Victoria Dahl, die Sonderbeauftragte der UN und ein Team daran, die zentralen Komponenten von Goliath, so der Name, der der Maschinenintelligenz gegeben worden ist, zu finden.

Axel Krohns lang verschwundener Vater nimmt Kontakt mit ihm auf und gibt vor, ihm helfen zu wollen. Doch als Anführer einer Freiheitsbewegung hat er eigene Ziele. Mit einer kleinen Gruppe machen sie sich nach Rom auf. Dorthin sind auch ein deutscher Polizist und ein australischer Geheimagent unterwegs, um Axel Krohn zu fassen, da er im Verdacht steht, mehrere Menschen getötet zu haben.

Andreas Brandhorst hat sehr viel für diesen Roman recherchiert (siehe seine Autorenseite). Aber es gelingt ihm, seien Recherche-Ergebnisse intelligent in den Text einzubetten und nicht den Oberlehrer zu spielen, wie wir es leider von anderen Autoren kennen. Er entwickelt um seine Idee des Erwachens eine spannende Geschichte, die den Leser sofort zu packen versteht. Die Charaktere werden gut eingeführt und entwickelt. Durch die gemeinsam erlebten Abenteuer leidet der Leser mit den Personen mit. Sehr gelungen ist, dass der Autor die Charaktere nicht als nur gut oder nur böse darstellt, sondern sie vielschichtiger gestaltet. Der Leser muss sich entscheiden, wem er seine Sympathien gibt. Die Maschinenintelligenz ist hier noch eine Besonderheit, da sie ja gerade erst erwacht und sich noch entwickeln muss. Doch ihre Denkweise und Moralvorstellungen scheinen von den Menschen nur schwer zu verstehen zu sein, so fremd ist diese Intelligenz. Dieses darzustellen, ist natürlich für einen Menschen sehr schwierig und ob dem Autor dies mit seiner Idee und seinen Bildern gelungen ist, muss der Leser jeweils für sich selbst entscheiden.

Der Roman ist ein erstklassiger Thriller, der sehr gut beginnt und sich dann langsam entwickelt. Geschickt beschleunigt Andreas Brandhorst die Handlung an den richtigen Stellen und wechselt dies mit ruhigeren Passagen ab. Das Ganze ist gut durchdacht und wirkt nicht konstruiert. Die verschiedenen Gruppen, die sich mit unterschiedlichen Verkehrsmittel nach Rom aufmachen sind spannend zusammengestellt und haben dadurch gute Interaktionen miteinander. Andere Elemente des klassischen Road-Movies unterstützen die Spannung. Der Leser ist auf diesen Strecken gut unterhalten und wird zum fulminanten Ende in Rom geführt.

Mit „Das Erwachen“ wagt Andreas Brandhorst einen Ausflug ins Thriller-Genre, kann seine Wurzeln in der Science-Fiction aber nicht verbergen. Seine SF-Romane beinhalten auch Elemente des Thrillers und hier zeigt er, dass er auch mit nur wenigen SF-Inhalten und Ideen eine spannende Geschichte erzählen kann. Er ist ein erfahrener Autor, ohne in eine wiederkehrende Routine zu verfallen und es bleibt zu hoffen, dass er mit diesem vorliegenden Roman neue Leser zu gewinnen vermag, die dann vielleicht auch seine SF ausprobieren.

Von Ralf

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